1983 in Deutsch­land: Als wir kurz vor dem III. Weltkrieg standen

Das Wettrüs­ten zwischen den USA und der Sowjet­uni­on erreicht 1983 einen Höhepunkt: Die Welt steuert auf einen Atomkrieg zu, bei dem nicht nur das geteil­te Deutsch­land weitge­hend vernich­tet würde. Wie konnte es damals soweit kommen, und was hat einen III. Weltkrieg verhindert?

USA soll zu alter Stärke zurück­ge­führt werden

Die Welt driftet 1983 gerade­wegs auf einen Atomkrieg zu. Ronald Reagan, damals US-Präsi­dent, will die USA zu alter Stärke zurück­füh­ren und den Ostblock „totrüs­ten“. Er lässt prüfen, ob es für die USA möglich wäre, einen Atomkrieg zu gewin­nen. Dabei helfen sollen neue Pershing-II-Raketen, deren Spreng­kraft gewal­tig ist. In Moskau wieder­um fühlt man sich bedroht. Die Sowjets bewaff­nen ihre Jagdbom­ber mit Atombom­ben und machen sie gefechts­be­reit. General­se­kre­tär Juri Andro­pow ist überzeugt, dass die USA einen nuklea­ren Überra­schungs­an­griff planen.

Ehema­li­ger Top-Spion liefert Moskau geheime Dokumente

Rainer Rupp, damals Top-Spion des Auslands­ge­heim­diens­tes der DDR, der Haupt­ver­wal­tung Aufklä­rung (HVA), ist damals so nah an der Eskala­ti­on dran wie nur Wenige. 1983 war er Agent im „Situa­ti­on Center“, dem Lagezen­trum im NATO-Haupt­quar­tier in Brüssel. „Ich bekam alles mit“, sagt er. Hunder­te von sowje­ti­schen Agenten sind zu diesem Zeitpunkt in West-Europa und den USA im Einsatz und schicken Infor­ma­tio­nen an ihre Führungs­of­fi­zie­re. Es ist die bis dahin größte Geheim­dienst-Aktion des Ostblocks. Rupp fotogra­fiert heimlich mit einer Mini-Kamera tausen­de von Aufmarsch­plä­nen, Aufstel­lun­gen und Dokumen­ten. Er liefert dabei auch das geheime Drehbuch für die Wintex-Cimex-Übung nach Ost-Berlin und Moskau. Und dort ist man alarmiert.

In dieser Situa­ti­on wird Helmut Kohl am 6. März 1983 zum zweiten Mal Bundes­kanz­ler und ist entschlos­sen, Pershing-II-Raketen in Deutsch­land zu statio­nie­ren. Horst Teltschik war damals Kohls enger Mitar­bei­ter. Zwei Tage nach der Wieder­wahl von Helmut Kohl bezeich­net Ronald Reagan die Sowjet­uni­on in einer Rede als „evil empire“, das Reich des Bösen. Kurz darauf kündigt er sein SDI-Programm an. Damit sollen Raketen der Sowjets im Weltraum abgeschos­sen werden, bevor sie Ziele in den USA errei­chen. General­se­kre­tär Juri Andro­pow glaubt, dass man einem Angriff der NATO bald nichts mehr entge­gen­zu­set­zen habe.

General­se­kre­tär Andro­pow: Jedes Flugzeug wird abgeschossen

Während­des­sen spitzt sich der Konflikt zwischen den Atommäch­ten weiter zu. Die Sowjets überque­ren mit ihren Flugzeu­gen Gebiete der NATO. Die Ameri­ka­ner wieder­um fliegen Schein­an­grif­fe auf sowje­ti­sche Stütz­punk­te. In Moskau ordnet Andro­pow an, dass jedes Flugzeug, das sowje­ti­schen Luftraum verletzt, abgeschos­sen werden soll.

Am 1. Septem­ber schie­ßen sowje­ti­sche Abfang­jä­ger eine korea­ni­sche Passa­gier­ma­schi­ne mit 269 Menschen an Bord ab. Sie war aus Verse­hen in den sowje­ti­schen Luftraum einge­drun­gen. Die Welt ist erschüt­tert. „Es lief zwischen den beiden Weltmäch­ten nichts mehr. Es gab keine Kontak­te, keine Gesprä­che“, erinnert sich Horst Teltschik.

Fehlalarm löst fast einen Atomkrieg aus

Am 26. Septem­ber 1983 schlägt die sowje­ti­sche Satel­li­ten­über­wa­chung Alarm. Das System meldet fünf Atom-Raketen aus den USA, die auf die UDSSR zuflie­gen. Eigent­lich müsste der zustän­di­ge Offizier jetzt den Gegen­schlag einlei­ten, doch er wartet ab. Minuten­lang steht die Welt vor einem Atomkrieg – bis sich heraus­stellt, dass es ein Fehlalarm war.

Etwa einen Monat später werden bei einem Anschlag auf einen US-Stütz­punkt in Beirut mehr als 200 US-Solda­ten getötet. Die USA verset­zen ihre Truppen in Alarm­be­reit­schaft und beset­zen die Insel Grenada. Ronald Reagan begrün­det den Einsatz mit den Worten, die Insel sei ein sowje­ti­scher Militär-Stützpunkt.

NATO-Manöver «Able Archer»

Im Novem­ber 1983 beginnt routi­ne­mä­ßig das NATO-Manöver Able Archer. Dabei wird ein atoma­rer Krieg unter realis­ti­schen Bedin­gun­gen geübt. General­se­kre­tär Andro­pow hat jetzt keine Zweifel mehr, dass ein Atoman­griff der USA bevor­steht. Die sowje­ti­schen Truppen in Ost-Deutsch­land und Polen machen ihre Atomwaf­fen bereit.

Die US-Militärs ahnen davon nichts. Erst nach dem Mauer­fall erfah­ren sie, dass mehr als 100 sowje­ti­sche Flugzeu­ge mit Atomwaf­fen bestückt und gefechts­be­reit gemacht worden waren. Ein Zufall oder Fehlalarm hätte dazu geführt, dass die Piloten gestar­tet und ihre Atombom­ben ans Ziel gebracht hätten. Doch so weit kommt es nicht. Als das Able-Archer-Manöver ohne Zwischen­fäl­le zu Ende geht, fährt auch die sowje­ti­sche Militär­füh­rung die Gefechts­be­reit­schaft wieder runter.