Plan B gegen Covid-19?

Debatte um Durchseuchung

Gestern Abend strahl­te das Schwei­zer Fernse­hen SRF in 10vor10 einen Beitrag aus, bei dem die bishe­ri­ge Strate­gie des Bundes in Frage gestellt wurde und als Option eine Strate­gie der «diffe­ren­zier­ten Durch­seu­chung» als mögli­che Alter­na­ti­ve zur Sprache gebracht wurde. Wir vom AirVox-Redak­tons­team waren positiv überrascht, dass nun plötz­lich auch kriti­schen Stimmen in einem öffent­lich-recht­li­chen Medium eine Platt­form geboten wird, die offizi­el­le Strate­gie des Bundes zu hinter­fra­gen. Wir unter­stüt­zen gemäss unserem Leitbild stets den Ansatz, verschie­de­ne Ansich­ten zu Wort kommen zu lassen und fassen deshalb nachfol­gend die wichtigs­ten Inhalte des Beitra­ges von SRF zusammen.

Ausge­strahl­ter Beitrag in 10vor10 von SRF

Beitrag auf der Websei­te von SRF

Die Stimmung in der Bevöl­ke­rung ist gekippt

Die Stimmung im Volk zu den dauer­haf­ten Einschrän­kun­gen der Bevöl­ke­rung im öffent­li­chen Leben ist inzwi­schen gekippt. Zu Beginn der Pande­mie-Welle Mitte März 2020 stand die grosse Mehrheit der Bevöl­ke­rung klar hinter den Vorga­ben des Bundes (Lockdown. Abstand halten, Hände waschen, Masken tragen), die zum raschen Abklin­gen der Corona-Pande­mie führen sollten. Nach knapp einem halben Jahr Corona-Dauer­the­ma­tik und kein weiter­hin dreistel­li­gen Fallzah­len hat inzwi­schen die Mehrheit der Schwei­zer die Nase voll von Corona und fordert eine Änderung der Strate­gie. Unlängst sagte der Infek­tio­lo­ge Pietro Vernaz­za der «Sonntags­zei­tung»:

«Wenn ich aus Angst vor Corona mit allem aufhöre, was mir Freude berei­tet, ist das für mich kein lebens­wer­tes Leben mehr.»
Prof. Dr. Pietro Vernaz­za, Chefarzt Infek­tio­lo­gie, Kantons­spi­tal St. Gallen

«Wir müssen keine Panik vor diesem Virus haben»

Das Virus sei weniger gefähr­lich als gemein­hin vermu­tet, sagt Vernaz­za im 10vor10 Inter­view weiter. Nach neues­ten Erkennt­nis­sen könne davon ausge­gan­gen werden, dass nicht — wie ursprüng­lich befürch­tet — 30’000 bis 100’000 Menschen in der Schweiz an Corona sterben werden. Es ist gar davon auszu­ge­hen, dass durch das Corona-Virus wohl weniger sterben als bei der starken Grippe­sai­son von 2015, die rund 2’500 vorwie­gend älteren Menschen vorzei­tig das Leben kostete. Ausser­dem könnte die Corona-Epide­mie früher abklin­gen als bisher angenommen.

Dem stimmt auch der emeri­tier­te Genfer Infek­tio­lo­ge Bernard Hirschel zu: «Bei jeder Epide­mie gibt es zuerst einen grossen Alarm.» Wenn man aber genauer hinschaue, sehe man, dass viele Infizier­te überhaupt keine Sympto­me hatten und deswe­gen nicht diagnos­ti­ziert wurden.

Sterb­lich­keits­ra­te wohl wesent­lich tiefer als befürchtet

Die Sterb­lich­keits­ra­te wird anhand der Anzahl getes­te­ter Infizier­ter und gestor­be­ner Patien­ten errech­net. Gegen­wär­tig geht die Swiss-Covid-Taskforce davon aus, dass die Rate zwischen 0.5 und 1 Prozent liegt. In dieser Rechnung wurde aber die Dunkel­zif­fer nicht berücksichtigt.

Eine Studie der Univer­si­tät Genf fand mittels Bluttest heraus, dass sich etwa zehnmal mehr Menschen mit dem Virus infiziert hatten, da diese Antikör­per gegen das Virus entwi­ckelt haben: Offizi­ell wurden bis zum 24. April in Genf 4’700 Menschen positiv auf das Corona­vi­rus getes­tet. Bis zum selben Datum hatten aber bereits 48’500 Genfer Antikör­per im Blut. Damit sinkt die Sterb­lich­keits­ra­te erheblich.

Was heisst das nun?

Weil die Sterb­lich­keits­ra­te tiefer ist, als angenom­men, fordert Infek­tio­lo­ge Pietro Vernaz­za die Prüfung eines Plan B als Alter­na­ti­ve zur gegen­wär­ti­gen Ausrot­tungs­stra­te­gie des Bundes: die diffe­ren­zier­te Durch­seu­chung. Das heisst, man lässt dem Virus vorsich­tig seinen Lauf, bis die Bevöl­ke­rung eine Immuni­tät aufge­baut hat. Gegen­über SRF sagt Pietro Vernazza:

«Vielleicht wäre es eine Lösung, wenn die jüngere Bevöl­ke­rung dosiert mit dem Virus in Kontakt kommt und so eine Abwehr für die ältere Bevöl­ke­rung aufbaut. Das müsste man prüfen.»
Prof. Dr. Pietro Vernaz­za, Chefarzt Infek­tio­lo­gie, Kantons­spi­tal St. Gallen

Die Idee dahin­ter: Junge, die zumeist milde Krank­heits­ver­läu­fe haben, sollen sich anste­cken und werden danach mögli­cher­wei­se immun. So können sie die gefähr­de­ten Älteren nicht mehr anste­cken. Ob aber diese Strate­gie erfolg­reich ist, kann man erst in zwei Jahren beurteilen.

Was denkt die Bevöl­ke­rung zur Option einer diffe­ren­zier­ten Durchseuchung?

An der Umfrage von SRF nahmen bisher über 30’000 Menschen teil mit folgen­dem bishe­ri­gen Zwischenergebnis:

  • 45% sprechen sich für eine diffe­ren­zier­te Durch­seu­chung aus
  • 39% sprechen sich gegen eine diffe­ren­zier­te Durch­seu­chung aus
  • 16% sind unschlüs­sig, welches die richti­ge Strate­gie ist

Gibt es Optio­nen zur diffe­ren­zier­ten Durchseuchung?

Je nach Verlauf der Infek­ti­ons­ra­ten bleibt uns vielleicht gar keine andere Wahl. Wenn sich nun wieder immer mehr Menschen anste­cken, scheint die Strate­gie des Bundes nicht wie gewünscht zu greifen, vor allem wenn noch kein Impfstoff vorhan­den ist.

Ähnli­che Situa­ti­on wie bei der Grippe

Beim Plan B könnte es sein, dass man dann eine Situa­ti­on hat, wie bei der saiso­na­len Grippe. Die Gesell­schaft lebt wieder damit, dass wie bisher jedes Jahr in der Schweiz bis zu 2’500 vorwie­gend ältere Menschen am Lebens­en­de an der Grippe sterben. Mögli­cher­wei­se wird das nun ähnlich sein. Die Gesell­schaft wird akzep­tie­ren müssen, dass Menschen immer wieder auch an Grippe­vi­ren sterben.

«Wir wissen inzwi­schen einiges mehr über dieses Virus: Etwa, dass es Bevöl­ke­rungs­grup­pen gibt, für die es viel gefähr­li­cher ist. Haupt­säch­lich müssen die Senio­ren geschützt werden. Panik müssten wir nicht haben», meint Antoine Flahault, Direk­tor für Weltge­sund­heit an der Univer­si­tät Genf.

In einem Punkt sind sich jedoch alle Forscher einig: Es besteht die Möglich­keit, dass dieser gegen­wär­ti­ge «Courant Corona» vielleicht für die nächste Zeit zum «Courant normal» unserer Gesell­schaft wird.

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