Der Ukraine-Krieg | Teil 1
Das Ende des Kalten Krieges und die NATO-Osterweiterung

Der Ukraine-Krieg wird von den westli­chen Staaten einhel­lig als «Angriffs­krieg» Russlands tituliert. Selbst­ver­ständ­lich war der Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 völker­rechts­wid­rig und ist deshalb klar zu verur­tei­len. Eine Rückblen­de auf die letzten 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges lässt diesen Konflikt jedoch in einem etwas anderen Licht erscheinen.

Die westliche Sicht des Krieges

Nach westli­cher Darstel­lung begann der Ukraine-Krieg mit dem Einmarsch der russi­schen Armee in die östli­chen Gebiete der Ukraine am 24. Februar 2022. Diese Darstel­lung erlaubt es dem Westen, den Ukraine-Krieg als unpro­vo­zier­ten «Angriffs­krieg” der Russen zu definie­ren. Diese einge­schränk­te Sicht der Vorgän­ge ermög­licht es dem Westen – insbe­son­de­re der USA – sich als Opfer des Krieges zu gebären und die Ukraine daher militä­risch zu unterstützen.

Ein Blick auf die Ereig­nis­se der letzten 30 Jahre zeigt, jedoch, dass der Ukraine-Krieg die logische Konse­quenz aus der Ignoranz des Westens gegen­über den berech­tig­ten Sicher­heits­in­ter­es­sen Russlands ist.

Die NATO-Osterweiterungen

Der Fall der Berli­ner Mauer am 9. Novem­ber 1989 ebnete den Weg zu einem Ende des Kalten Krieges. Mit dem Ende der Sowjet­uni­on am 21. Dezem­ber 1991 war dieses Ende dann endgül­tig besie­gelt und man hoffte darauf, dass sich die Bezie­hun­gen zwischen den ehema­li­gen Rivalen, der USA und Russland positiv entwi­ckeln würden.

Trotz der Versi­che­rung nach dem Kalten Krieg, dass die NATO sich nicht nach Osten ausdeh­nen würde, wurden diese Verspre­chen gebro­chen. Die NATO hat sich in Richtung der ehema­li­gen Sowjet­re­pu­bli­ken und des Balkans ausge­brei­tet, was in Russland zu einem Gefühl der Demüti­gung und Verun­si­che­rung führte. Russland sah dies als Verlet­zung der Abmachun­gen und als direkte Bedro­hung seiner Sicherheitsinteressen.

Inner­halb von 10 Jahren – zwischen 1999 und 2009 traten der Nato folgen­de 12 Länder bei: Polen, Tsche­chi­en und Ungarn (1999), Bulga­ri­en, Estland, Lettland, Litauen, Rumäni­en, Slowa­kei und Slowe­ni­en (2004) sowie Albani­en und Kroati­en (2009). Diese massive Auswei­tung der NATO bis an die Grenzen Russlands hat Russland heraus­ge­for­dert und dadurch das Vertrau­en zwischen den Ländern untergraben.

Vertrauensverlust zwischen Russland und dem Westen

Trotz der Zusiche­run­gen, dass es nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on keine weite­ren Spaltun­gen in Europa geben würde, wurden in den folgen­den Jahren mehrere NATO-Mitglie­der aus ehema­li­gen Warschau­er-Pakt-Ländern rekru­tiert. Dies verstärk­te die Befürch­tun­gen Russlands, dass der Westen seine Macht in Osteu­ro­pa weiter ausdeh­nen wolle.

Der Bruch dieser Verspre­chen führte zu einem Vertrau­ens­ver­lust zwischen Russland und dem Westen. Russland fühlte sich isoliert und zuneh­mend bedroht. Die Frustra­ti­on über die Missach­tung der russi­schen Sicher­heits­be­den­ken durch den Westen wuchs, was letzt­end­lich zu einer Verschär­fung der Spannun­gen beitrug.

Russlands wirtschaftlicher Niedergang

Die wirtschaft­li­che Schock­dok­trin und die Ausplün­de­rung Russlands nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on haben zu einem starken Rückgang des Lebens­stan­dards und der Lebens­er­war­tung in Russland geführt, was die Unzufrie­den­heit und Frustra­ti­on in der Bevöl­ke­rung verstärkte.

In den 1990er Jahren erlebte Russland einen wirtschaft­li­chen Nieder­gang und eine soziale Krise. Die Schock­the­ra­pie der Markt­re­for­men führte zu einem Zusam­men­bruch der Indus­trie und einem Anstieg der Armut. Die russi­sche Bevöl­ke­rung litt unter Arbeits­lo­sig­keit, steigen­den Preisen und sozia­ler Unsicher­heit. Dies führte zu einer weit verbrei­te­ten Unzufrie­den­heit und einem Verlust des Vertrau­ens in die Regierung.

Der NATO-Krieg gegen Serbien im Jahr 1999

Der NATO-Krieg gegen Serbien im Jahr 1999 wurde von Russland als Verstoß gegen das Völker­recht und die Souve­rä­ni­tät eines souve­rä­nen Staates betrach­tet. Russland sah darin eine rücksichts­lo­se Einmi­schung des Westens in die inneren Angele­gen­hei­ten eines Landes. Dies verstärk­te die Überzeu­gung Russlands, dass der Westen aggres­siv agierte und keine Rücksicht auf inter­na­tio­na­le Normen nahm. Dies wieder­um beein­fluss­te Russlands Entschei­dung, militä­risch in der Ukraine zu intervenieren.

Diese Bombar­die­rung Serbi­ens ohne UN-Mandat diente Russland als Recht­fer­ti­gung für seinen eigenen Krieg gegen die Ukraine, da es die Vorge­hens­wei­se des Westens als rücksichts­los und inter­ven­tio­nis­tisch empfand.

US-Doktrin der Regimewechsel

Der Ausstieg der USA aus dem ABM-Vertrag und die Bush-Doktrin der Regime­wech­sel haben Russlands Ängste geschürt und die Befürch­tung verstärkt, dass es das nächste Ziel sein könnte.

Der Ausstieg der USA aus dem ABM-Vertrag im Jahr 2002 und die anschlie­ßen­de Ankün­di­gung des Aufbaus von Raketen­ab­wehr­sys­te­men in Osteu­ro­pa wurden von Russland als direkte Bedro­hung seiner Sicher­heit wahrge­nom­men. Russland befürch­te­te, dass diese Systeme nicht nur zur Vertei­di­gung gegen poten­zi­el­le Bedro­hun­gen aus dem Nahen Osten, sondern auch als Teil einer aggres­si­ven Strate­gie zur Einschrän­kung russi­scher militä­ri­scher Fähig­kei­ten dienen könnten. Dies schürte die Ängste und Misstrau­en Russlands gegen­über dem Westen.

Die Farbenrevolutionen in Osteuropa

Die Farben­re­vo­lu­tio­nen in Osteu­ro­pa und den ehema­li­gen Sowjet­re­pu­bli­ken wurden von Russland als Bedro­hung wahrge­nom­men, da sie russi­sche Verbün­de­te bedroh­ten und den Einfluss des Westens in der Region verstärkten.

Diese Revolu­tio­nen in Ländern wie Georgi­en und der Ukraine wurden von Russland als vom Westen unter­stütz­te Versu­che betrach­tet, pro-westli­che Regime an die Macht zu bringen und russi­sche Einfluss­sphä­ren zu unter­gra­ben. Russland sah darin eine klare Bedro­hung für seine Sicher­heits­in­ter­es­sen und reagier­te entspre­chend. Die Wahrneh­mung, dass der Westen aktiv versucht, den Einfluss Russlands einzu­schrän­ken, verstärk­te die Spannun­gen zwischen den Parteien.

Ankündigung zur Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO

Die Ankün­di­gung der Aufnah­me der Ukraine und Georgi­ens in die NATO führte zu einem Krieg zwischen Georgi­en und Russland, der die Spannun­gen weiter verschärf­te und das Misstrau­en zwischen den Partei­en verstärkte.

Die Pläne zur Aufnah­me der Ukraine und Georgi­ens in die NATO wurden von Russland als direkte Bedro­hung wahrge­nom­men. Russland betrach­te­te diese Bestre­bun­gen als Verstoß gegen die Verein­ba­run­gen und als klaren Versuch des Westens, seine Einfluss­sphä­ren weiter auszu­deh­nen. Der Krieg zwischen Georgi­en und Russland im Jahr 2008 verstärk­te die Spannun­gen zusätz­lich und verdeut­lich­te die brüchi­ge Lage in der Region.

Konfrontation mit Raketenabwehrsystemen

Die geplan­te Aufstel­lung von Raketen­ab­wehr­sys­te­men in Polen und Rumäni­en durch die USA und die NATO wurde von Russland als eine weitere Maßnah­me wahrge­nom­men, um seine strate­gi­schen Inter­es­sen zu unter­gra­ben. Russland betrach­te­te diese Systeme als Bedro­hung für seine eigenen Raketen­ka­pa­zi­tä­ten und sah darin eine Verlet­zung des strate­gi­schen Gleich­ge­wichts. Die Konfron­ta­ti­on in Bezug auf die Raketen­ab­wehr­sys­te­me erhöhte die Spannun­gen zwischen Russland und dem Westen erheblich.

Kriege in Afghanistan, Libyen und Syrien

Die Auswei­tung des Krieges in Afgha­ni­stan, der Regime­wech­sel in Libyen und der geplan­te Sturz der Regie­rung in Syrien verstärk­ten die Sorgen Russlands über die aggres­si­ve Vorge­hens­wei­se des Westens.

Die westli­chen Inter­ven­tio­nen in Afgha­ni­stan, Libyen und die Unter­stüt­zung für den Sturz der Regie­rung in Syrien wurden von Russland als Teil einer aggres­si­ven und einsei­ti­gen geopo­li­ti­schen Agenda wahrge­nom­men. Russland befürch­te­te, dass ähnli­che Maßnah­men auch in seiner eigenen Region ergrif­fen werden könnten, was seine Sicher­heit und Stabi­li­tät gefähr­den würde. Die Kriege und Inter­ven­tio­nen verstärk­ten das Misstrau­en und die Spannun­gen zwischen Russland und dem Westen.

Fazit

Zusam­men­fas­send lässt sich sagen, dass der Ukraine-Krieg nicht aus dem Nichts entstand, sondern das Ergeb­nis einer langen Reihe von Entwick­lun­gen und Spannun­gen ist. Die aggres­si­ve Politik des Westens – insbe­son­de­re der USA und der NATO – seit dem Ende des Kalten Krieges hat dazu beigetra­gen, den Nährbo­den für den Ukraine-Konflikt zu schaffen.

Die Auswei­tung der NATO, gebro­che­ne Verspre­chen, Regime­wech­sel und geopo­li­ti­sche Ambitio­nen haben das Vertrau­en zwischen Russland und dem Westen erschüt­tert. Die Kriege in anderen Regio­nen und die Konfron­ta­ti­on in Bezug auf Raketen­ab­wehr­sys­te­me haben die Spannun­gen weiter verschärft. Der Ukraine-Krieg ist somit das Ergeb­nis eines langwie­ri­gen Prozes­ses der Eskala­ti­on und des Vertrau­ens­ver­lus­tes zwischen den Parteien.

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